Der Juni 2014 ist für immer eingebrannt in die Herzen und Erinnerung von Millionen Irakern. Das war der Zeitpunkt, als die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) die Kontrolle über Mossul erlangte, die zweitgrößte Stadt im Irak und Heimat einer ansehnlichen christlichen Minderheit. Millionen Menschen ergriffen die Flucht, unter ihnen rund 10.000 Christen.
Zehn Jahre später ist der IS längst vertrieben aus der Region, doch wenige Christen kehren in ihre Heimat zurück, zu groß sind die Verluste sowie die Unsicherheit und Verletzlichkeit, die seither tiefe Spuren hinterlassen haben.
Vor 2003, als der irakische Diktator Saddam Hussein gestürzt wurde, lebten etwa 50.000 Christen in Mossul, in der gesamten Ninive-Ebene im Nordwesten des Landes waren es rund 300.000. Seit diesem Zeitpunkt wurde die christliche Bevölkerung kontinuierlich weniger, Christen sahen sich wachsender Diskriminierung, Feindseligkeit und Einschüchterung gegenüber und verließen die Region. So waren die dramatischen Ereignisse im Juni 2014 der letzte Ausbruch der Verfolgung und Gewalt gegen Christen.
Am 10. Juni eroberten die 1.500 Kämpfer des IS nach wenigen Tagen Mossul. Die irakische Armee zog sich zurück und überließ die Bevölkerung ihrem Schicksal. Die Bilder der triumphierenden IS-Kämpfer, die mit schwarzen Flaggen durch die Stadt zogen, prägten sich in die Erinnerung der Weltöffentlichkeit. Millionen Menschen, darunter viele Christen, flohen mit wenigen Habseligkeiten aus der Stadt.
Am 29. Juni rief IS-Führer Abu Bakr Al-Baghdadi in der Großen Moschee Al-Nuri das Kalifat aus. Den wenigen verbliebenen Christen wurde ein grausames Ultimatum gestellt: entweder ihren christlichen Glauben zu verleugnen und zum Islam zu konvertieren, oder eine Abwandlung der Dschizya, der Kopfsteuer für Nicht-Muslime, zu entrichten, doch selbst darauf folgten in der Regel gewaltsame Übergriffe. Die dritte Möglichkeit war, umgehend die Stadt zu verlassen und ihr gesamtes Hab und Gut zurückzulassen.
Pater Zakarya, Priester der Syrisch-Orthodoxen Kirche in Mossul vor dem Einmarsch des IS, erinnert sich an diese schrecklichen Tage vor zehn Jahren. Er zog sich mit seiner Familie und sechs anderen Familien in die Kirche am Mossul-Damm zurück, schließlich flohen sie nach Ankawa bei Erbil. Inzwischen hatte der IS Todeslisten in Mossul ausgehängt mit Namen von Christen, die sie ermorden würden.
»Mein Name stand ganz oben auf der Liste, gefolgt von den Namen zweier anderer Priester, die so wie ich Christen gewarnt und ihnen zur Flucht geraten hatten. Der IS hängte die Liste an Hauswänden und Moscheen auf.«
Drei Jahre hielt die Schreckensherrschaft des IS, doch die Wunden der Menschen dauern bis heute an. Wenige sind zurückgekehrt, denn die Verluste, die Unsicherheit und traumatischen Erlebnisse sind für die meisten bis heute spürbar. »Ich habe einen sechzehnjährigen Sohn. Ich werde nicht zurückgehen und wieder in Mossul leben, weil ich Angst um ihn habe. Er würde vielleicht nicht körperlich verletzt, doch er würde belästigt werden. Er würde keine Freunde finden und das würde ihn psychisch zermürben«, erklärt Zakarya.
Zwei Kirchen wurden mittlerweile wieder restauriert. Es werden Gottesdienste gefeiert und Kleinbusse bringen die Christen aus Erbil und dem Umland nach Mossul. Doch nach dem Gottesdienst fahren sie wieder zurück. Lediglich rund 20 Familien seien tatsächlich nach Mossul zurückgekehrt, schätzt Zakarya. Ein Paar aus seiner Kirche sei ebenfalls wieder nach Mossul gezogen, da sie sich die Miete in Ankawa nicht mehr leisten konnten. »Unsere Familien haben Angst, wieder in Mossul zu leben, besonders wenn sie junge Töchter haben«, erzählt er. »Eine christliche Familie hatte einige Formalitäten in der Stadt zu erledigen. Ein muslimischer Angestellter der Behörde fragte sie, was sie denn wieder in Mossul zu suchen hätten. Solche Bemerkungen führen dazu, dass Christen sich nicht willkommen fühlen und verunsichert sind.«
»Wir erleben keine Sicherheit in der Stadt«, fährt Pater Zakarya fort. »Wieso? Weil unsere eigenen Nachbarn uns damals bestohlen haben. Ich hatte ein Haus in Mossul, wie viele andere. Als wir 2014 fliehen mussten, sind meine Nachbarn in mein Haus eingedrungen und haben meine Möbel ausgeräumt. Soll ich jetzt in mein Haus zurückkehren und bei meinen Nachbarn anklopfen und sie bitten, mir meine Möbel zurückzugeben? Sie haben uns alles genommen. Wie könnten wir jetzt Tür an Tür mit ihnen leben? Wir haben keine Zukunft in Mossul.«
Die Kirche im Irak ist zehn Jahre nach der Machtergreifung des IS mehr denn je von Auslöschung bedroht. Sie finden keine sicheren Rahmenbedingungen, um ihr Leben neu aufzubauen. Ihre Kinder finden kaum Perspektiven vor. Die Wunden durch Gewalt, Vertreibung und Verlust von Angehörigen finden keine Ruhe, um zu heilen. 300.000 Christen lebten im Irak vor dem IS, nun sind es nur noch 154.000, viele von ihnen suchen nach Möglichkeiten, das Land endgültig zu verlassen und sich woanders ein neues Leben aufzubauen.
Im Weltverfolgungsindex steht der Irak an sechzehnter Stelle der Länder, in denen Christen am stärksten verfolgt werden. »Die christliche Gemeinschaft spielt eine zentrale Rolle im Wiederaufbau und der Neubelebung der Region. Die Menschen wissen, das Christen Frieden suchen und in die Restauration investieren«, beschreibt Kurt Igler, Geschäftsführer von Open Doors Österreich die Bedeutung der Christen im Irak. »Wir appellieren an die Regierung und an die internationale Gemeinschaft, dass sie sich verstärkt dafür einsetzen, dass Christen die Rahmenbedingungen vorfinden, die ihnen Sicherheit gewährleisten und sie beim Wiederaufbau ihrer Häuser und Geschäfte unterstützen, damit sie ihre Rolle in der irakischen Gesellschaft wieder einnehmen können.«
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