Während die Kämpfe zwischen der Armee und den paramilitärischen Kräften im Sudan in die elfte Woche gehen, wurde die Zone der Luftangriffe zum ersten Mal auf eine Stadt im Süden des Landes ausgeweitet. Diese Krisensituation wirkt sich besonders auf die kleine christliche Minderheit aus, die bereits durch die fortdauernde religiöse Verfolgung geschwächt ist. Eine Analyse von Fikiru Mehari*, Spezialist für Ostafrika bei Open Doors.
Seit dem 15. April hat der Krieg zwischen der Armee von General Abdel Fattah al-Burhane und den Paramilitärs der Rapid Support Forces von General Mohamed Hamdane Daglo laut der französischen Nachrichtenagentur AFP mehr als 1800 Menschenleben gefordert und laut UNO zwei Millionen Menschen vertrieben.
Die Kämpfe, die nun in die elfte Woche gehen, hatten sich bislang hauptsächlich auf die fünf Millionen Einwohner zählende Hauptstadt Khartum und die riesige Region Darfur im Westen konzentriert.
Die Luftwaffe führte »zum ersten Mal Luftangriffe auf El-Obeid« durch, eine Stadt 350 Kilometer südlich der Hauptstadt Khartum, »die seit Beginn der Kämpfe von paramilitärischen Kräften umzingelt ist«, wie mehrere Augenzeugen der Nachrichtenagentur AFP berichteten.
Folgen für Christen
Die größte Sorge der christlichen Minderheit, der 2 Millionen Menschen (4,3% der Bevölkerung) angehören, ist, dass die durch die aktuellen Konflikte hervorgerufene Instabilität den extremistischen Islamisten in die Hände spielt und es ihnen ermöglicht, den sudanesischen Bürgern wieder islamische Gesetze aufzuzwingen.
Fikiru Mehari (Name aus Sicherheitsgründen geändert), Analyst für Ostafrika bei Open Doors, einer internationalen Hilfsorganisation für verfolgte Christen, erklärte: »Dieser Krieg ist eine Gelegenheit für islamische Extremisten, wieder an die Macht zu kommen und zu sagen: ›Seht ihr, die Demokratie funktioniert nicht, lasst uns zur Scharia zurückkehren.‹«
Zur Erinnerung: Nach dem Sturz von Omar al-Bashir im Jahr 2019 hatten sich die Bedingungen für Christen erfreulich verbessert. Tatsächlich führte die danach im Sudan an der Macht befindliche Übergangsregierung einen neuen Rechtsrahmen ein, der die grundlegenden Menschenrechte aller Sudanesen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrem Geschlecht oder ihrer Religion garantierte.
Doch nach dem Militärputsch Ende 2021 und den Protesten, die zum Rücktritt von Premierminister Abdallah Hamdok führten, landete der Sudan auf dem Weltverfolgungsindex, der die 50 Länder auflistet, in denen Christen am stärksten verfolgt werden, traurigerweise auf Platz 10, im aktuellen Weltverfolgungsindex 2023 sogar auf Rang 9. Das ist auf die allmähliche Machtübernahme durch ehemalige Verbündete von El-Bashir zurückzuführen, die eine strenge Auslegung der Scharia verfolgen und sich zunehmend in die Aktivitäten der Kirchen einmischen.
Eine sehr düstere Zukunft
Niemand weiß, wer die Feindseligkeiten am 15. April, dem Tag, an dem die aktuelle Krise ihren Anfang nahm, begonnen hat, aber die Folgen für die Bevölkerung könnten bereits jetzt verheerend sein, auch für die christliche Minderheit. »Die Menschen haben vor vier Jahren protestiert, weil sie kein Brot hatten. Das gilt auch heute noch, aber sie sind noch besorgter«, fährt Fikiru Mehari fort. »Wir befürchten, dass diese Krise den Islamisten die Möglichkeit geben könnte, das politische Leben im Sudan zu beeinflussen. Das würde die Christen auf den Weg zu einer neuen Diktatur bringen, die gegen sie gerichtet ist. Ihr Leben wäre dann noch schlimmer als zu Zeiten von Omar al-Bashir. Die Zukunft sieht wirklich düster aus für sie«, zeigt er sich besorgt.
Fikiru Mehari macht sich auch Sorgen um die Christen in ganz Ostafrika. Ihre Lebensbedingungen könnten sich verschlechtern, wenn der radikale Islam im Sudan wieder Fuß fasst und sich in der gesamten Region ausbreitet. Er plädiert für ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der ausländischen Mächte, die sich bislang damit begnügen, ihre Bürger mit Hilfe der regulären sudanesischen Armee zu evakuieren, vor allem nach Großbritannien, in die USA, nach Frankreich und China.